Eine Woche vor ihrer Vernissage »Auf dem Weg zum Tatort« im Höhmannhaus trafen wir die serbischen Künstler der Gruppe diSTRUKTURA und Selman Trtovac sowie den Kurator der Schau Thomas Elsen von den Kunstsammlungen und Museen Stadt Augsburg im
Artist-in-Residence-Atelier im Kulturpark West zum Interview. Vor zwei Monaten haben die Künstler ihre Studios in Belgrad verlassen und sind seitdem Gäste der Initiative »Hoher Weg«. In Augsburg arbeiten sie am Thema »Utopie des Friedens«. Das Gespräch führte Jürgen Kannler.
Herr Elsen, arbeiten Sie zum ersten Mal in Augsburg mit Artist-in-Residence-Künstlern zusammen?
Thomas Elsen: Ja, das ist das erste Mal, und ich kann mich auch nicht erinnern, dass es ein Artist-in-Residence-Programm in Augsburg schon einmal gegeben hat. Insofern ist es für mich sehr spannend und schön, dass dieses Projekt zustande kam. Die Option, dass zu einem späteren Zeitpunkt Künstler aus Augsburg im Gegenzug auch die Möglichkeit haben, für eine bestimmte Zeit in Belgrad arbeiten zu können, ist natürlich toll.
Was unterscheidet diese Arbeitsform von der Zusammenarbeit mit Künstlern, wie Sie sie sonst im H2 und im Höhmannhaus pflegen?
Thomas Elsen: Das ist gar kein so großer Unterschied. Wenn wir Ausstellungen konzipieren oder wenn Künstler für uns Ausstellungen machen, bestehen immer eine direkte Zusammenarbeit und ein Dialog. Was hier jetzt natürlich anders ist, ist die Möglichkeit für die Künstler, über mehrere Wochen in Augsburg zu leben und vor Ort arbeiten zu können. Die Vorbereitung ist auch sehr spannend, da man nicht genau weiß, welches Ergebnis am Ende stehen wird.
Die Einladung, in Augsburg Artist in Residence zu werden, war damit verbunden, zum Thema »Utopie des Friedens« zu arbeiten. Wie reagierten Sie als Künstler auf diese Forderung?
diSTRUKTURA: Normalerweise fühlen sich Künstler nicht wirklich wohl, wenn ihnen ein bestimmtes Thema vorgegeben wird. In diesem Fall waren wir jedoch sehr interessiert, da es zu dem Thema passt, mit dem wir uns generell beschäftigen. Es war einladend und inspirierend, sich mit der »Utopie des Friedens« zu beschäftigen und dieses Thema gekoppelt an die zeitgenössischen Landschaften unserer Gastregion in das Projekt aufzunehmen. Den Begriff »zeitgenössische Landschaft« verstehen wir als »von Menschenhand gestaltete Landschaft«. Es handelt sich dabei um die Landschaft nach der industriellen, der technologischen und der digitalen Revolution.
Selman Trtovac: Ich beschäftige mich seit Langem mit Fragen rund um den Begriff »Utopie«. Gerade die Einladung, mich mit der Utopie des Friedens auseinanderzusetzen, was schließlich ein gesellschaftliches und geschichtliches Thema ist, sprach mich an. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Geschichte meines Großvaters, der vor etwa 70 Jahren in dieser Region Zwangsarbeiter war, bewege ich mich als Künstler in derselben Gegend und denke über die Utopie nach. Diese zwei Gegensätze habe ich als Ansatz für meine Arbeit hier genommen. Ich wollte in meiner künstlerischen Arbeit keine persönliche Geschichte erzählen, aber ich wollte dies für den Prozess benutzen. Was mich gerade in diesem Kontext interessiert, sind metaphorische Linien, die etwas über gesellschaftliche und geistige Prozesse aussagen und wie sich diese Prozesse gegenüber verschiedenen Werten verhalten. Werte, die wir als utopisch bezeichnen, können sich entwickeln.
Thomas Elsen, was hat Sie als Hausherr im Höhmannhaus gereizt, den Ideen der Artists in Residence eine Plattform zu geben?
Thomas Elsen: Die Aussicht auf die Ergebnisse, die in solch einem künstlerischen Prozess
entstehen, interessiert mich sehr. Insofern kommen wir, die Künstler auf der einen Seite und mein Interesse an Kunst auf der anderen, ganz natürlich zusammen. Als Sie die Idee des Artist-in-Residence-Projekts und die damit verbundenen Künstler vorgestellt haben, wurde ersichtlich, dass dabei die prozesshafte Arbeit ein wichtiger Punkt ist. Wie vorhin schon erwähnt, weiß man eben nicht, was letztlich dabei herauskommt. Man weiß aber, dass es eine sehr intensive und sehr authentische Geschichte wird, die speziell für diese Situation geschaffen wird und die in dieser Form so auch nicht wiederholbar ist. Es handelt sich nicht um eine klassische Galerieausstellung, hier entsteht etwas in diesem speziellen, mentalen Raum, wie Selman es wahrscheinlich sagen würde. Der tatsächliche Raum wird von diSTRUKTURA und Selman Trtovac entwickelt und in Zusammenarbeit in eine eigene Form gebracht. In der Gesamtpräsentation scheinen die einzelnen Positionen auf. Das eigentliche Resultat ist eine Zusammenarbeit, die prozesshaft in diesem Raum entsteht, und das finde ich sehr schön.
Es ist ja auch nicht unumstritten, künstlerisches Arbeiten und vorgegebene thematische Konzepte zu koppeln. Wenn man nicht aufpasst, findet man sich schnell in einem Korsett wieder, wie es nicht selten bei Kunst-am-Bau-Projekten zu finden ist. Wie haben Sie Ihre Spielräume genutzt, um sich selber und dem Thema treu zu bleiben?
diSTRUKTURA: Als wir wussten, dass dieses Thema zu unserer Art zu arbeiten und in unseren künstlerischen Rahmen passt, haben wir uns dazu entschieden, an diesem Projekt teilzunehmen. Wir nehmen uns so viel Freiheit wie möglich, um uns auszudrücken, und sehen die Grenzen nicht so eng.
Thomas Elsen: Auf der einen Seite ist das Thema »Utopie des Friedens«, auf der anderen ist eine sehr offene, mentale Plattform, und meiner Meinung nach ist fast jede Art von Kunst eine
Utopie des Friedens. Für mich ist es mehr eine intellektuelle Motivation, etwas zu entwickeln, was mit eigener Arbeit zu tun hat und nicht künstlich konstruiert ist.
Selman Trtovac: Diese Einladung und die Arbeit in diesem Kontext sind für mich eine Herausforderung. Der Begriff »Utopie« wie auch »Utopie des Friedens« ist ein sehr breiter Begriff und eigentlich ist alles, was wir unser Leben lang machen, utopisch und hat mit Utopie zu tun. In diesem Sinne ist es überhaupt keine Begrenzung oder ein enger Raum, in dem wir uns bewegen müssen.
Selman, als Philosoph haben Sie eine Kernaussage formuliert, die man vielleicht so zusammenfassen kann: »Vernichte nach fünf Jahren alles, was du gemacht hast, und fang von Neuem an.« Diese Aussage ist mittlerweile auch schon ein paar Jahre alt, wie bringen Sie das in Ihre jetzige Lebenssituation mit ein?
Selman Trtovac: Diese Position war mit einer Gruppenarbeit verbunden, die mit dem Thema »Micro-Utopia« zu tun hatte. Ich denke, dass jede Position, Idee oder Meinung in der Kunst hinterfragt und vielleicht auch zerstört werden muss, um neu definiert werden zu können. Neu zu definieren heißt auch von Neuem anzufangen und umzudenken. So entsteht natürlich auch ein Risiko, wodurch der künstlerische Prozess aber erhalten bleibt.
Selman schrieb von einem Fünfjahresplan, um Dinge zu überarbeiten und zu hinterfragen. Wie verhält es sich mit dem Thema Taktung bei diSTRUKTURA, die ja als Ehepaar zusammen arbeiten und leben? Ist es da nicht zwangsläufig so, dass man bei seinen künstlerischen Entscheidungen permanent nicht nur selber hinterfragt, sondern auch von seinem Gegenüber hinterfragt wird?
diSTRUKTURA: Als wir anfingen, zusammen zu arbeiten, versuchten wir mit unseren ersten gemeinsamen Werken zu definieren, was wir machen möchten und mit welchem Thema wir uns beschäftigen wollen. Wie vorhin schon erwähnt, befassen wir uns mit der zeitgenössischen Landschaft, was aber nicht bedeuten soll, dass wir uns nur auf dieses Thema fixieren. Wir verändern uns, und genauso verändern sich unsere Arbeiten. Es handelt sich um einen Prozess, der dazu auffordert, Themen immer wieder neu zu definieren. Es geht also um einen Prozess zwischen Thema und Arbeit und umgekehrt. Wir wollen nicht begrenzt sein. Wenn uns etwas anspricht oder begeistert, versuchen wir es eben in unsere Arbeit aufzunehmen.
Als Ehepaar haben Sie im Kulturbetrieb vermutlich einen gewissen Exotenstatus, wie beispielsweise Gilbert & George oder Christo und Jeanne-Claude. Wie werden Sie von der Öffentlichkeit wahrgenommen?
diSTRUKTURA: Es ist nicht revolutionär, als Ehepaar zusammenzusein und als Künstler zusammen zu arbeiten. Manchmal treffen wir aber Leute, die von unserer Methode tatsächlich überrascht sind.
Es hat ja auch wirklich etwas Besonderes. Es gibt nicht viele Ehepaare in der Geschichte der Kunst.
diSTRUKTURA: Wir sehen das als Vorteil. Wir müssen uns selbst immer hinterfragen und das Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen, neu definieren. Jeder von uns hat einen Eindruck oder eine Idee, die er dann dem anderen erklären muss. Daraufhin müssen wir ein Lösung finden, mit der wir beide zufrieden sind. Es handelt sich also um einen Untersuchungsprozess, durch den wir wachsen. Wir müssen dabei auch Kompromisse eingehen, da man die andere Person und ihre Ideen annehmen muss. Außerdem ist es ein Vorteil, dass die andere Person einem bei einer Denkblockade helfen kann. Für diese Art von Zusammenarbeit muss man auf das Unerwartete und Unbekannte eingehen können.
Selman, Sie hatten nun über Wochen die Gelegenheit, Ihre Kollegen zu beobachten. Vermissen Sie bei Ihrer Arbeitsweise nicht den Aspekt der Vertrautheit mit einem anderen Menschen, so wie ihn die Kollegen haben, oder sind Sie froh, als Solist arbeiten zu können?
Selman Trtovac: Ich habe fünf Jahre lang in einer Gruppe, in einem kollektiven, mentalen Raum gearbeitet und dabei wie diSTRUKTURA mit Dialogen, Kompromissen und Offenheit für die Ideen der anderen Künstler Erfahrungen gemacht. Durch Dialoge und die Auseinandersetzung mit der Kunst von anderen versuche ich meine eigenen Prozesse zu bereichern. Ich arbeite zwar allein und treffe Entscheidungen für mich, aber die Dialoge führe ich hier zum Beispiel mit Thomas Elsen, diSTRUKTURA und vielen anderen Menschen in meiner Umgebung.
Thomas Elsen: Das ist eine persönliche Entscheidung, ob man seine künstlerische Zusammenarbeit und die persönliche Beziehung gemeinsam entwickelt und entwickeln kann. Für mich kommt es als Beobachter, der Kunst intellektuell begleitet, nur auf die Qualität des Prozesses an. Der Dialog, der Austausch, der dann zu etwas führt, ist der Kern der Arbeit. Man muss Kompromisse eingehen, seine Ideen aber auch durchhalten und durchsetzen.
Selman Trtovac: Ein wichtiger Teil des Dialogs, in dem wir hier zusammen denken, kreist um den Aufbau der Ausstellung im Höhmannhaus selbst. Innerhalb kürzester Zeit müssen wir diese ganzen Prozesse, die unsere Arbeit hier kennzeichnen, nochmals durchgehen.
Sie haben über viele andere Gemeinsamkeiten hinaus auch einen gemeinsamen Erfahrungspool, den wohl kaum jemand haben wird, der Ihre Ausstellung im Höhmannhaus besuchen wird. In diesen Tagen gedenken die Menschen des Massakers von Srebrenica vor 20 Jahren. Im Allgemeinen ist es aber um den Jugoslawienkrieg sehr still geworden. Wie haben dieser Krieg und seine Folgen Ihre Arbeit geprägt?
diSTRUKTURA: Es sind natürlich immer Einflüsse vorhanden, mit denen wir uns aber im laufenden Prozess nicht konkret beschäftigt haben. Vielmehr beschäftigen sich diese Einflüsse unentwegt mit uns. Wir haben schon vor einiger Zeit ein Projekt entwickelt, das die Konsequenzen des Krieges im Hinblick auf die politische und soziale Lage Serbiens und der Balkanländer behandelt. Eine Konsequenz, die wir als Folge des Krieges und der heutigen Situation in Ex-Jugoslawien tragen, ist etwa die, dass viele unserer Freunde Serbien verlassen, um ein besseres Leben führen zu können. Das war ausschlaggebend für dieses Projekt, das wir mit dieser sehr persönlichen Perspektive begonnen haben. Die Ausstellung, die wir gerade in Belgrad vorbereiten, handelt zum Beispiel von der Definition der »mitteleuropäischen Landschaft« vom Ersten Weltkrieg bis heute. Sie ist Teil der Frage, wie Landschaften ein Drama oder einen großen Konflikt vermitteln, dessen Bühne sie waren.
Selman Trtovac: Ich war nicht unmittelbar in den Krieg involviert. Wenn ich über diese Erfahrung nachdenke, gibt es eine persönliche Ebene, eine politische, eine philosophische, eine soziologische und viele Ebenen mehr. Ich kann es nicht ausstehen, wenn jemand dieses Drama für seine politischen Ziele missbraucht. Ich gehe an dieses Thema direkt ran, aber mit viel Vorsicht. Es gibt auch viele Arbeiten, die immer wieder einen Bezug zu dieser Erfahrung, diesem Thema und Drama herstellen. Die Realität ist nicht schwarz-weiß und sie ist nicht einfach zu definieren. Ich versuche durch meine eigenen Erfahrungen zu einer universellen, allgemein geltenden Position als Axiom zu gelangen. Es ist wichtig, dass man Erfahrungen hat, aber durch die künstlerische Sprache muss man eine universelle Dimension erreichen.