Jürgen Kannler im Gespräch mit dem Medienkünstler Reinhard Gupfinger. |
Du konzipierst unter anderem Kunst für den öffentlichen Raum. Wie reagierenPassant*innen und Anwohner*innen, wenn du dir diese Freiheit nimmst?
Das ist stark vom jeweiligen Projekt abhängig. Solange mir nicht in irgendeiner Form Sachbeschädigung oder Ruhestörung vorgeworfen werden kann, stehen die Menschen meiner Arbeit grundsätzlich positiv gegenüber. Es sind ja auch eher subtile Eingriffe in den Raum, die aufgrund der oft kleinen Formate bei den meisten Passant*innen kaum Beachtung finden.
Die Leute fühlen sich also schneller einmal in ihrer Freiheit, Ruhe zu haben, eingeschränkt, wenn du auch mit akustischen Mitteln arbeitest?
Sound ist immer speziell. Ich will generell niemanden nerven und gehe mit meinen Anliegen auf gewisse Weise erst einmal sehr vorsichtig, dann aber auch bestimmt um. Zum Beispiel an Orten, an denen Sound bereits vorhanden ist, um damit gegen Obdachlose oder Jugendliche vorzugehen.
Das ist eine sehr perfide Art, sich die Lufthoheit zu sichern.
Auf alle Fälle. In Hamburg gab es eine Art Pilotprojekt, das unter dem Namen »Vivaldi against Junkies« für Furore sorgte. Andere Städte haben die Idee aufgegriffen und in ihrem Sinn »verfeinert«, wenn man so will. So auch Graz. Dort gibt es ein Tunnelsystem von der Altstadt zum Burgberg. Ein sehr beliebter Ort. Verschiedenste Jugendgruppen hatten dort über Generationen ihre Treffpunkte. Öffentliche, konsumfreie Räume wie diese Tunnels, die sich dazu recht schwer überwachen lassen, sind beliebte Aktionsfelder für diese Soundattacken. Also habe ich mich in Graz ins Soundsystem gehackt und die Files besucherfreundlicher gestaltet. So rief zum Beispiel alle paar Minuten ein Kuckuck. Das war im Krieg das Signal für die Grazer Bürger*innen, bei Luftangriffen in die Tunnels zu fliehen.
Nichts gegen Vivaldi. Aber eine Sequenz aus den »Vier Jahreszeiten« in Endlosschleife hören zu müssen, grenzt an Körperverletzung.
Einzelne Unternehmen greifen sogar zu noch härteren Klangwaffen, sogenannten Moskitos. Dabei werden Jugendliche mit einem extrem lauten Signal in einer speziellen Frequenz, das Menschen ausschließlich bis etwa 23 Jahren hören können, zum Beispiel von Geschäftszugängen vertrieben. Ein Trend aus England, der auch in Österreich schon erste Nachahmer gefunden hat. Dagegen muss man vorgehen.
»UnSound« und dein Vorgängerprojekt »Silent House of Prayer« spielen mit Stille und Sichtbarmachung von Sounds. Ist das deine Art, auf diese Lautsprecherei zu reagieren?
Auf jeden Fall eine meiner Möglichkeiten. Die Idee, Klang zu transformieren, zum Objekt zu machen und herauszufinden, wie das im öffentlichen Raum funktioniert, finde ich schön länger sehr spannend. Augsburg ist dafür so etwas wie mein Freiluftlabor.
Warum nehmen Menschen die Beschneidung ihrer Freiheiten oftmals so klaglos in Kauf?
Umfragen zeigen, dass bald mehr Menschen dazu bereit wären, lieber auf ihr Wahlrecht zu verzichten als auf ihr Smartphone. Das sagt einiges. Menschen werden von dieser trügerischen Form von Freiheit wie in einem Kokon eingesponnen. Es geht ihnen um die Optionen auf ein paar Sekunden schnellen Ruhms in den Netzwerken, dem sie alles unterordnen. Wer so gefangen ist, empfindet oft auch Fragstellungen und Themen im politischen Diskurs als zu abstrakt. Teilen der Politik kommt diese Entwicklung sehr entgegen. Das ist international zu beobachten. Die Verschärfung und der Ausbau der Überwachungssysteme wachsen rasant. Angstmache, gepaart mit dem alltäglichen Sicherheitswahnsinn, gehört zum Standardrepertoire nicht nur der ganz rechten Populisten. Das in China eingesetzte digitale Social-Ranking-System stößt bei vielen Menschen nicht nur auf Ablehnung.
Apropos Populisten. Welche Wirkung hatte die Regierung Kurz-Strache auf den Kunstbetrieb in Österreich?
Die Stimmung war allgemein sehr angespannt. Die Spaltung der Gesellschaft ist ein internationales Phänomen. So etwas spielgelt sich auch im Kunstbetrieb wider. Es gibt eine gewisse kritische Masse, die unter den Kulturmacher*innen vielleicht etwas höher einzuschätzen ist als in anderen Teilen der Bevölkerung. Es gibt sehr viele Stillhalter. Sie schweigen aus Angst, selbst Opfer zu werden. Aus Angst, dass ihre Projekte zum Beispiel nicht mehr gefördert werden oder sie sonst Nachteile erfahren, wenn sie sich politisch engagieren. Und es gibt einen, wenn auch kleineren Teil der Fürsprecher. Ein gern bemühtes Argumentationsmuster von ihnen ist, dass die Populisten nett im privaten Umgang seien.
Vielleicht ist es ja ein Trost für dich, nicht ausschließlich mit Menschen arbeiten zu müssen. Du bist Teil einer Gruppe von Wissenschaftler*innen, die das Verhältnis von Graupapageien zur Musik erforschen.
Das ist ein wirklich spannendes Projekt, das sich mit der Idee beschäftigt, die Lebensbedingungen von Tieren in Gefangenschaft zu verbessern. Vereinfacht gesagt geht es darum, die Lebensumgebung der Papageien zu bereichern. Und ich bin für den musikalischen Teil verantwortlich, wenn man so will. Wir entwickeln zum Beispiel Gerätschaften, mit denen die Tiere ohne Zwang selber Sound erzeugen können. Das funktioniert ganz gut. Sie wippen ja auch im Rhythmus oder imitieren Sprache oder Geräusche. Sie hören etwa ein Polizeiauto fahren und machen die Sirene dazu. Oder sie f lüstern dir mit deiner eigenen Stimme ins Ohr. Das ist schon ganz schön beeindruckend. Dieses Können machte sie auch als Entertainer beliebt.
Wie hat diese Arbeit dein Verständnis von Freiheit beeinflusst?
Wildtiere gehören nicht in Gefangenschaft. Es gibt aber, wie bei den Graupapageien, oft keine Möglichkeit, sie auszuwildern. Der relativ neue Ansatz der Human-Animal Interaction wird uns helfen, die Beziehung zwischen Mensch und Tier zu verbessern. Sie bietet die Chance, diese Lebewesen besser kennenzulernen und dabei von ihnen zu lernen. Vielleicht ist damit ja auch ein kleiner Gewinn für das Zusammenleben zwischen Mensch und Mensch verbunden.