> Download der Sonderpublikation zum AiR-Projekt 2015
Nachdem 2015 die serbischen Künstler Milica Milićević, Milan Bosnic (diSTRUKTURA) und Selman Trtovac für einige Wochen in Augsburg als Artists in Residence zu Gast waren, folgte im April 2016 ein Gegenbesuch von Franz Dobler. Der Autor verbrachte die Wochen um Ostern auf Einladung des Goethe-Instituts Belgrad in einigen Ländern Südosteuropas. Die Lesereise führte ihn nach Serbien, Montenegro und Kroatien.
Nachdem wir im Norden Montenegros den »Schwarzen See«, den 1.400 Meter hoch gelegenen Gletschersee Crno Jezero in der Nähe von Bijelo Polje besucht hatten, wurden wir auf dem Weg zurück zur Brücke über den Tara Canyon von einem Streifenpolizisten rausgewunken.
Unser serbisches Nummernschild, sagte Selman Trtovac. Er blieb ruhig und gab ihm alle Papiere.Sie redeten. Der Polizist gab ihm die Papiere zurück und sie redeten weiter. Dann telefonierte der Polizist und Selman lachte. Was war denn los? Er hat gesagt, sein Chef muss heute auch nach Belgrad, ob wir ihn mitnehmen könnten. Wir konnten. Aber hättest du auch nein sagen können? Klar, sagte Selman.
Der Polizist fuhr also los, um seinen Chef abzuholen, und wir genossen die Aussicht über die ganze Hochebene, an deren Ende schneebedeckte Berge aufragten. Wer’s nicht in den Himalaya schafft, kann diesen Anblick hier bewundern.
Der Kommissar sah aus wie ein deutscher SEK-Mann in der Freizeit: Turnschuhe, Trainingshose, Kapuzenjacke, Sporttasche, Haare 0,5 mm. Wir platzierten ihn neben Selman, sie konnten sich unterhalten. Der Kommissar sagte ihm, wo das Tempolimit kontrolliert wurde und wo er wieder auf die Tube drücken konnte. Außerdem kannte er die Wirtschaft an der Strecke, wo wir was essen sollten.
Selman Trtovac, Leiter der Bibliothek des Goethe-Instituts Belgrad, hatte nicht nur die zusätzlichen Lesungen in Zagreb und Bijelo Polje organisiert, sondern begleitete mich. Er hat Literatur studiert – und hauptsächlich Kunst, unter anderem acht Jahre in Düsseldorf. So kam es, dass wir nun täglich eine Aktion von Beuys nachmachten und uns »Ja Ja Ja« und »Ne Ne Ne«zuriefen. Allerdings ohne uns an die Originallänge von einer Stunde und fünf Minuten zu halten.
Den Künstler Trtovac hatte ich letztes Jahr in Augsburg kennengelernt, als er (zusammen mit der Gruppe diSTRUKTURA, die uns in Belgrad zeigten, wo der Milosevic nachfolgende Ministerpräsident Zoran Djindjic 2003 erschossen wurde) zwei Monate Artist in Residence war, und jetzt erklärte er dem Kommissar, dass ich über den Balkan kurvte, um einen Kriminalroman über einen Bullen mit Problemen vorzustellen. Das »hm hm« des Bullen war das internationale Zeichen für Ratlosigkeit.
Wir bekamen übersetzt, dass der Kommissar und seine Leute es seit einiger Zeit verstärkt mit deutschen Touristen zu tun hatten, die sich in der Natur dumm verhielten und gerettet werden mussten. Der serbische Künstler und der montenegrinische Polizist unterhielten sich so gut, dass wir kaum noch was übersetzt bekamen.
Trtovac aß dann wie üblich Cevapi und rührte, wie der Kommissar, den Salat nicht an. Ich habe vergessen, was ich gegessen habe, aber es war gut. Lässige müde Stimmung. Der Kommissar telefonierte viel. Er hatte Urlaub und fuhr (dank uns früher als erwartet) zu seiner Frau nach Belgrad, wo er mal einige Zeit als Security an der montenegrinischen Botschaft eingesetzt war. Ich fragte mich, ob man ihn strafversetzt hatte. Im Film landet der Kommissar dann ja immer in der Natur.
Was uns total verblüffte, war, dass im Fernseher dieses normalen Restaurants an der Straße nach Belgrad mitten am Nachmittag doch tatsächlich eine Doku über Pina Bausch lief. Selman war begeistert und erzählte dem Kommissar einiges über die Tänzerin und Regisseurin, von der auch ich keine Ahnung hatte; okay, Wuppertal hat man sich natürlich gemerkt.
Der Kommissar stieg ziemlich am Anfang in den Blockbergen von Belgrad aus. Zuletzt gab er Selman seine Karte. Der freute sich: Sollte ich in Montenegro jemals ein Problem haben, soll ich ihn anrufen!
Ich musste daran denken, dass der Bibliotheksleiter von Bijelo Polje, Edin Smailovic, mit dem stellvertretenden deutschen Botschafter Uwe Meerkötter viel über Politik diskutiert hatte. Bald würde darüber abgestimmt werden, ob sich Montenegro auf die Seite Russlands oder der EU stellen würde. Smailovic hoffte auf die EU und befürchtete, dass es im Moment nicht besser als fity-fifty stand. Der Botschafter erklärte, dass Montenegro mit seinen 620.000 Einwohnern ein unbedeutendes Land war, allerdings mit einem Zugang zum Meer, an dem Russland sehr interessiert war. An den Stränden lagen russische Millionäre besonders gern.
Auf der Fahrt durch die Berge viele Häuser und Hütten, die nach Armut aussahen. Der Atheist Selman Trtovac, dessen Herkunft mit moslemisch-kroatisch-christlich-italienisch nur unzureichend beschrieben ist, erzählte, dass hier Wölfe und Bären rumliefen und in jedem Haus eine Waffe war. Der Kommissar erzählte, dass hier jeder legal Schnaps brannte, was ja in der EU eher nicht so gern gesehen wird. Beim großen polnischen Schriftsteller und Balkanreisenden Andrzej Stasiuk in »Fado« gelesen, dass hier noch das Gesetz der Blutrache galt und dass es nirgendwo in Europa innerhalb weniger Kilometer so riesige Unterschiede zwischen arm (Berge) und reich (Küste) gab bzw. einem Leben, das wie seit Jahrhunderten ablief, und einem, das wie in einer topmodernen Diskothek aussah.
Kurzum, es konnte also auf keinen Fall was schaden, wenn man einen Kommissar in Montenegro kannte, dem man mal geholfen hatte.
Inzwischen war es Nacht, wir waren seit zehn Stunden unterwegs, am Belgrader Bahnhof wurde der Verkehr nervenzerfetzend zäh, die Arschloch!-Rufe des Fahrers häuften sich – und dann reichte es ihm plötzlich, er zischte ab wie in einem Highway-Cop-Film, überholte alles auf Teufel-komm-raus und brach in wenigen Minuten einen Berg von Verkehrsregeln. Dennoch hatten wir auch ohne den Kommissar überhaupt keine Angst.