Interview mit AiR Reinhard Gupfinger. Für a3kultur sprach mit ihm Jürgen Kannler.
Am 20. September startet in der Galerie Beate Berndt die Ausstellung »Reinhard Gupfinger – Silent House of Prayer«. Du arbeitest seit dem Frühjahr als Artist in Residence in Augsburg. Welche Eindrücke der Stadt waren prägend?
Der Haupteindruck kommt von meiner Arbeitsstätte, dem Kulturpark West – am auffälligsten dort ist das bunte Musiktreiben. Alle sind am Proben und Musizieren. Ich würde sagen, Augsburg ist auf jeden Fall eine Musikstadt.
Auch dein AiR-Projekt hat zahlreiche Bezugspunkte zur Musik – mit klarem Schwerpunkt auf sakralen Klängen. Wie bewertest du die Erfahrungen, die du hier beim Besuch und in der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Glaubensrichtungen machen konntest?
Vieles davon war definitiv neu für mich. Durch die eigene Sozialisierung ist man natürlich vorgeprägt, speziell in meiner Gegend in Oberösterreich durch den Katholizismus. Aber was sich hinter den Türen von anderen Glaubensrichtungen abspielt, war für mich absolutes Neuland, auch der Besuch bei den verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen. Gerade die klanglichen Eindrücke und wie dort mit der Musik umgegangen wird – in der Moschee werden zum Beispiel keine Instrumente verwendet, aber schon die Stimmen sind extrem musikalisch. Da wurde ein klanglicher Raum erzeugt, der so eigentlich gar nicht vorhanden ist.
Du hast mit Menschen zusammengearbeitet, die glauben – eine Eigenschaft, die nicht jedem gegeben ist. Wie hast du das empfunden?
Die verschiedenen Richtungen haben natürlich versucht, mir ihren Glauben näherzubringen und zu erklären. Die Ernsthaftigkeit, mit der der Glaube praktiziert wird, war dabei sehr unterschiedlich: Dass man sich trifft und betet, kann durchaus Spaß machen und ungezwungen sein – anders als oft im Katholizismus, wo man sich als reuiger Sünder von seinen Sünden befreien will. Zwar hat mir oft das Sprachverständnis gefehlt, aber ich konnte beobachten, dass anders mit dem Ritual des Gebets umgegangen wurde. Bei der Church of Pentecost ist es zum Beispiel gang und gäbe, dass man während des Gebets nebenbei im Internet surft und spezielle Bibelstellen sucht oder Ähnliches. Es gibt dort Kernzeiten, wann das Gebet stattfindet, aber man kann kommen und gehen, wie man möchte.
Im Kontext des Friedenfestes konnte man eine Performance von dir erleben – ein »Silent Event«, bei dem du als DJ von akustischen Aufnahmen aufgetreten bist, die bei deinen Besuchen zahlreicher Glaubenseinrichtungen entstanden sind. Die Besucher, darunter sehr viele Gläubige, die du bei den Aufnahmen kennengelernt hast, konnten diesen Sounds über Kopfhörer lauschen und dabei zwischen diversen Aufnahmen, die auf unterschiedlichen Kanälen liefen, wechseln, quasi von einem Gottesdienst in den nächsten. Es war beeindruckend, mit welchem Interesse und mit welcher Hingabe die Besucher den Aufnahmen gefolgt sind.
Ja, das war auch das Konzept der Arbeit – ein bisschen mit dem »Stolz« der Beteiligten zu spielen und ihnen die Aufnahmen dann in dieser Form wieder zu präsentieren. Wir haben die Aufnahmen zuvor bewusst zurückgehalten, um dann alle beteiligten Gruppen einzuladen und die Präsentation gemeinsam zu feiern. Für mich war das schwierig einzuschätzen – wie viele Leute kommen zu solchen Events und wie werden die einzelnen Gruppen reagieren? Ich war in der Vorbereitung etwas unsicher und habe mir viele Gedanken gemacht. Auch für mich war der »Silent Event« eine Premiere. Während der Performance habe ich dann versucht, an den Gesichtern abzulesen, was in den Leuten und den unterschiedlichen Gruppen vorgeht. Nach kurzer Zeit hat man aber schon gesehen, dass es super ankommt.
Ganz nebenbei hast du in diesem künstlerischen Kontext eine Plattform für Gläubige verschiedener Richtungen geschaffen, die sonst wenig Kontakt zueinander haben und die auch nicht immer freundschaftlichen Umgang miteinander pflegen. An diesem Tag hat das aber keine Rolle gespielt.
Es war ja ein künstlerisches Projekt und ich war zum Thema »Frieden« eingeladen worden. Ich habe versucht, durch die Kunst einen neutralen Ort zu schaffen, an dem man sich begegnet. Das Thema waren in diesem Fall nicht die verschiedenen Religionen oder Ideologien dahinter, sondern einfach das Zusammenkommen und das Kennenlernen des musikalischen Umgangs im Gebet.
Du hattest in den letzten Wochen die Möglichkeit, dich mit Kreativen aus der Region auszutauschen. Was wird da für ein Eindruck bleiben?
Der Eindruck, dass Augsburg eine kreative und lebendige Szene hat – als Beispiel sei da nur einmal duophonic herausgegriffen, die für mich die Schallplattenrohlinge geschnitten haben. So ein Unternehmen ist natürlich Impulsgeber für eine ganze Szene – jemand, der Schallplatten als Einzelstücke anfertigt. Das funktioniert zwar auch online, aber so etwas in der Stadt vor Ort zu haben, ist einmalig. Mit den duophonic-Leuten gab es natürlich viele Anknüpfungspunkte, auch im technischen Bereich der Musik. Da waren wir auf einer Wellenlänge und hatten sofort den Austausch über Musik, den technischen Zugang und Transformationsprozesse.
Der erste Teil deiner Arbeit hier in Augsburg war die akustische Aufnahme, der zweite die Bearbeitung derselben. Der dritte Teil des Prozesses war schließlich die Transformation in ein 3D-Objekt. War diese Prozesskette für dich von Anfang an klar? Was steckt hinter dem Wunsch der Sichtbarmachung von Klängen?
Das ist eigentlich ein Prozess, den ich schon länger verfolge: den Klang bestimmter Orte als objekthafte Visualisierung sichtbar zu machen. Wie in der Fotografie schafft man eine Momentaufnahme – nur dass es in diesem Fall der Klang ist. Man archiviert diesen temporären Vorgang und bannt die Momente als Relikt in ein dreidimensionales Objekt.
Du hast dich dafür entschieden, das Klangprodukt in eine Gussform zu geben und somit als reliefartige Kunst umzusetzen. War das für dich als Medienkünstler ein Schritt hin zur Bildhauerei? Du verfolgst solche interdisziplinären Ansätze ja schon länger.
Meine Herangehensweise ist eigentlich immer interdisziplinär, ich habe ja auch Bildhauerei studiert. In der Medienkunst treffen sich die Gebiete. Es ist mir bei der Herangehensweise meiner Arbeit immer ganz wichtig, auch skulpturale Aspekte zu haben.
In der Galerie von Beate Bernd präsentierst du bis Ende Oktober eine Ausstellung mit dem Titel »Silent House of Prayer«. Da werden die Reliefs gezeigt, aber du gibst den Besuchern auch die Möglichkeit, noch einmal in den Klangkosmos einzutauchen, den du geschaffen hast. Wie kann man sich das vorstellen?
Die Überlegung dabei war, dass sich der Kreis vom Objekt wieder zurück zum Ausgangsmaterial, dem Gehörten, schließen soll. Für jede Glaubensrichtung wurde ein Relief angefertigt. Mit Audioplayern kann man sich die jeweilige Glaubensrichtung anhören – und direkt am Relief nachsehen und nachlesen.
Kannst du den akustischen Hintergrund deiner Reliefs nur durchs Anschauen zuordnen?
Ja, auf jeden Fall. Man kann auch als Laie relativ schnell lernen, diese Amplitudenausschläge von Lautstärken und Frequenzen nachzulesen. Besonders hilfreich dabei sind die Pausen, das sind immer erhabene oder niedrige Geraden. Man würde wahrscheinlich auch mit geschlossenen Augen durch Ertasten der Reliefs Rückschlüsse darauf ziehen können, um welches Gebet es sich handelt.
Deine Arbeiten bestechen durch starke Konzeptideen. Dein AiR-Projekt liefert erstaunliche Antworten auf das Grundthema, das vonseiten der Organisatoren quasi als Arbeitsanweisung vorgegeben war, nämlich eine Auseinandersetzung mit der Utopie des Friedens zu suchen. War der künstlerische Weg, den du dazu eingeschlagen hast, bei dir schon vorgezeichnet oder hat die Idee erst in Augsburg Gestalt angenommen?
Mit der Idee des Transformationsprozesses vom Klang zur Skulptur beschäftige ich mich schon länger, Teilaspekte davon kamen bereits in meiner künstlerischen Praxis vor. Aber von den Aufnahmen an diesen speziellen Orten bis hin zu den Reliefs mit der Zwischenstation eines »Silent Event« habe ich so ein Projekt noch nicht realisiert.
Die charakteristische Ausarbeitung hat sich also erst hier vor Ort ergeben?
Genau. In den letzten arbeitsintensiven Wochen habe ich mich dann natürlich besonders mit der Ausarbeitung der Reliefs beschäftigt. Begonnen habe ich mit den ersten Reliefs aber schon im Frühjahr und die Technik dann perfektioniert.
Diese AiR-Zeit war auch eine Klammer zwischen dem Friedensfest und dem lab30-Festival: Deine erste Präsentationsphase fiel in die Zeit des Friedensfestes, die letzte ist Teil von lab 30. Was erwartet den Besucher dort im Kontext des »Silent House of Prayer«?
In der Galerie gibt es wie schon erwähnt die Ausstellung mit den Reliefs und den Audioplayern zum Nachhören. Des Weiteren sind einige Abstraktionen zu sehen. Dabei habe zum Beispiel das Klangmaterial überlagert und eine bestimmte Frequenz herausgefiltert.
Wie ein DJ?
Hier gibt es eine Verwandtschaft, die sich nicht leugnen lässt. In der Ausstellung werden deshalb auch die Einzelschallplatten zu sehen und zu hören sein. Zudem ist noch ein Event geplant, bei dem ich die Maschine, mit der ich den Klang in Styropor schneiden kann, demonstriere und Einblick in diesen Entstehungsprozess gebe.
Ist die direkte Auseinandersetzung mit dem Publikum, wie sie im Kontext eines Festivals wie dem lab30 stattfindet, für einen Medienkünstler wichtiger als etwa für einen klassischen Maler?
Ja, natürlich. Ein Festival unterscheidet sich sehr stark von einer klassischen Ausstellung. Es gibt dort verschiedene Formate, in denen Ideen präsentiert und vermittelt werden können. Gerade bei diesem aktuellen Projekt mit den unterschiedlichen Glaubensrichtungen ist es mir wichtig, dass ich den Leuten den Entstehungsprozess vermittle und den Schaffensprozess veranschauliche – damit sie verstehen, dass es sich nicht um abstrakte Gebilde handelt, die nur so an der Wand hängen.